Ich habe lange überlegt, wie ich den heutigen Blogpost einleite. Denn er hat nicht wirklich etwas mit Nüchternheit und wofür ich ursprünglich diesen Blog gegründet habe zu tun. Aber mein damaliger Alkoholkonsum hat viel mit meiner Sensibilität zu tun. Als sensibler Mensch habe ich die Eigenschaft auf das Feine, auf die Zwischentöne zu hören und diesen auch Raum in meinem Leben zu geben. Denn letztendlich beeinflusst das Unausgesprochene versus das, was ich fühle und wahrnehme ja auch meine Realität. Das macht die (Hoch)Sensibilität für viele ja auch so anstrengend, weil man gewisse Spannungen und Schwingungen, die so in der Luft liegen, sofort aufnimmt und aufsaugt, da diese Wahrnehmungsfilter bzw. Sinnesschranken fehlen. Und genau deswegen hat das heutige Thema durchaus seine Daseins-Berechtigung auf meinem Blog: Ich schreibe heute über Rassismus in der Kirche und warum das relevant für uns als Gesellschaft ist. Am besten fange ich damit an, wie alles begann:
Vor ein paar Wochen ist das Buch „Wie ist Jesus weiß geworden“ von Sarah Vecera auf meinem Tisch gelandet. Dass es dort gelandet ist, ist kein Zufall, sondern hat eine Vorgeschichte. Unsere Kinder besuchen nun schon seit ein paar Monaten einen kirchlichen Kindergarten. Das hat allerdings keine religiösen Hintergründe, sondern war eine rein praktische Entscheidung unsererseits, da dieser Kindergarten direkt bei uns um die Ecke liegt. Außerdem haben die kirchlichen Einrichtungen hierzulande einen sehr guten Ruf, da sie hervorragende Familienarbeit leisten. Letzteres kann ich bestätigen.
Jedenfalls ging kurz vor Weihnachten in der Eltern-WhatsApp-Gruppe eine
Nachricht der Pastorin rum. Ihre Tochter geht mit meiner in die gleiche Kindergartengruppe. Die Nachricht beinhaltete, dass sie sich dafür einsetzen möchte, dass das Krippenbaby zukünftig nicht mehr blond und blauäugig dargestellt wird, sondern dass es eher eins mit dunkler Haut werden soll. So wie der Original-Jesus damals geboren wurde, ähnelt ihm dann eine dunkle Jesus-Puppe entsprechend viel mehr. Der Spiegel hatte im Jahr 2001 mal einen interessanten Artikel dazu veröffentlicht,
den ich euch hier verlinke. Auf diesem rekonstruierten Bild sieht Jesus
nämlich eher arabisch aus.
Auf die Nachricht der Pastorin in der Kindergarten-WhatsApp-Gruppe hin, hat
man an der Reaktion einer anderen Mutter gespürt, dass sie dieses Anliegen
nicht so ganz nachvollziehen kann. Also in dem Sinne: Was ist denn so
schlimm an einem blonden und blauäugigen Jesuskind? Die Pastorin hat
daraufhin sehr detailreich und eindrücklich erklärt, dass es hier im
Wesentlichen um Rassismus in der Kirche geht und dazu weiterführende Literatur
empfohlen; darunter eben auch das Buch von Sarah Vecera „Wie ist Jesus weiß
geworden?“. Ich hatte mich ein wenig an dem Chat beteiligt, weil ich seit dem
Tod von George Floyd im Mai 2020 für Rassismus sensibilisiert bin und vor
kurzem auch das Buch von Alice Hasters mit dem Titel „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ gelesen hatte.
Superhelden
Neben mir gab es noch eine andere Mutter, die es sehr gut fand das Jesusbaby langfristig fürs Krippenspiel auszutauschen. Diese Mutter hatte dann auch prompt eins bestellt und es kam sogar noch rechtzeitig vor Weihnachten an. Das Schöne an der Geschichte ist, dass Josef von einem schwarzen Jungen aus dem Kindergarten gespielt wurde. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr er sich gefreut hat, dass da eben kein weißes Kind lag, sondern eins mit seiner Hautfarbe. Dies hat ihn noch tagelang glücklich gemacht. Ich finde diese Geschichte so berührend, dass sie mir heute noch Tränen in die Augen treibt. Ich erzähle sie dir, um dir diese eurozentrische Sichtweise, die wir so lange schon unbewusst in uns herum tragen, sichtbar zu machen. Für uns ist es nur eine ausgetauschte Puppe. Für den kleinen schwarzen Jungen, der im Krippenspiel, den Josef spielte, bedeutete diese schwarze Puppe aber die Welt. Denn es geht für ihn nicht nur darum, dass die Puppe in der Krippe die gleiche Hautfarbe hat wie er, sondern vielmehr geht es darum, dass Menschen mit schwarzer Haut nicht immer nur als hilfsbedürftig, wie z.B. in den zahlreichen Afrika-Patenschaftsbroschüren, oder tollpatschig, wie bei Jim Knopf, präsentiert werden. Schwarze Menschen können auch andere, positivere Stereotypen bedienen. Somit hätten sie langfristig auch realere Chancen anders wahrgenommen zu werden. In unserer heutigen Multi-Kulti-Gesellschaft ist das zeitgemäß. Denn mittlerweile stammt fast jeder/jede aus einer Familie internationalen Ursprungs. Dem einen sieht man das mehr an, dem anderen weniger.
Samy Deluxe, der für dieses Thema schon seit Jahrzehnten in sämtlichen Talkshows unermüdliche Medienpräsenz zeigt und den ich dafür sehr schätze, hat das in seinem Superheld-Lied mal zum Ausdruck gebracht:
Das Lied ist von 2010 und wurde damals kein Hit. Für die PoC-Welt ist es aber von außerordentlicher Bedeutung gewesen. PoC steht übrigens für People of Colour. Übrigens setzt der Zuckersüß Verlag dieses Konzept, dass PoCs die Helden sind, schon sehr gut in seinen Kinderbüchern um.
Jedenfalls hat uns drei Mütter dieser Chat vor Weihnachten dazu bewogen nun eine Art Buchklub zu gründen. Bei unserem ersten Treffen ging es um das Buch o. g. Buch „Wie ist Jesus weiß geworden“, das ich mir nach dem WhatsApp-Gruppenaustausch dann auch gleich besorgt hatte. Was mich bei diesem Treffen am meisten von den beiden anderen Müttern interessiert hatte, war, wie sie dazu kamen so ein Buch zu lesen. Sie sind nämlich weiße Frauen. Dass eine asiatisch gelesene Frau, wie ich, sich mit Rassismus beschäftigt, liegt da schon viel näher. Die Mutter, die das schwarze Jesuskind fürs Krippenspiel besorgt hatte, ist Richterin von Beruf. Ihre Antwort auf meine Frage, warum sie sich mit dem Thema beschäftigt, war äußerst spannend: Als Richterin hatte sie mal einen Eid geschworen, und zwar, dass sie vor dem Gesetz jeden gleich behandelt, unabhängig von seinem Aussehen, seiner sozialen Herkunft oder sonstigem:
Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.
Deutsches Richtergesetz (DRiG), § 38 Richtereid
„ohne Ansehen der Person“. Diese Worte hallen nach. D.h. das Aussehen der Person muss einem Richter oder einer Richterin vollkommen egal sein. Daher hinterfragt sie sich zurecht, ob das wirklich so ist, seitdem sie dieses Buch gelesen hat. Denn sie bringt ja ihre Prägung mit. Sie erzählt mir, dass sie in einem Küstenort in Schleswig-Holstein groß geworden ist. Ihre Eltern wurden in den 50er Jahren geboren. Damals reiste ein PoC Mann aus Schwarzafrika durchs Land und hat die Schulen besucht sowie Eintritt dafür genommen, dass man ihn angucken darf. Dies hatte eine Wirkung auf die Kinder, die jetzt unsere Eltern geworden sind. Diese Geschichten wurden der Richterin als Kind erzählt und so etwas hat sie natürlich unbewusst geprägt. Sie ist jetzt selber Mutter und hinterfragt sich, inwiefern sie ihrem Kind diese Prägung mitgibt. Sie möchte nämlich ihr Kind frei von Vorurteilen gegenüber anderen Menschen mit anderen Hautfarben erziehen. Das ist der Grund, weshalb sie sich mit Rassismus beschäftigt: Einerseits wegen ihrer Funktion als Richterin und andererseits aus der mütterlichen Perspektive heraus. Ich finde, dass diese Haltung unheimlich für sie spricht und ich erlebe so etwas äußerst selten. Also dass sich Weiße aus freien Stücken, aus sich selbst heraus, mit dem Rassismus-Thema befassen. Mittlerweile denke ich auch, dass das die Lösung zu dem Problem sein könnte. Also dass weiße Menschen das Thema ansprechen und nicht wir PoCs. Denn wenn wir das ansprechen, wird uns gleich so eine mimimi-Haltung unterstellt. Ich habe an diesem Buchabend unheimlich viel über den Richter-Beruf gelernt. Eigentlich muss man sich als Richter:in die ganze Zeit reflektieren und hinterfragen; also ein super spannender Beruf, wie ich finde.
Die Pastorin beschäftigt sich mit Rassismus, weil ihr in der KiTa aufgefallen ist, dass Kinder mit schwarzer Hautfarbe hier und da mal vom Spiel ausgeschlossen werden. Dies hat sie sehr bestürzt. Deswegen hat sie bereits das Gespräch mit den Erzieherinnen gesucht. Die Frage des Gespräches war eigentlich: Woher kommt das? Warum möchten z.B. vierjährige, weiße Kinder nicht mit einem schwarzen Kind spielen? Letztlich habe ich persönlich auch keine Antwort darauf. Vielleicht ist es, ähnlich wie beim Alkohol oder den Rauchern, dass der Mensch ja bekanntlich ein Rudeltier ist. Wir wollen alle dazu gehören und besinnen uns daher auf verbindende Elemente. Gute Gespräche entstehen oft in Raucherecken, wo Raucher:innen unter sich sind. Oder dass man sich als nüchtern lebender Mensch oft unwohl unter Trinkenden fühlt, kann bestimmt jeder von uns nachvollziehen, besonders wenn ein gewisser Pegel im trinkenden Umfeld erreicht ist. Vielleicht ist das im Kindergartenalter so, dass man sich auf äußerliche Merkmale als verbindendes Element besinnt und dann eher den Umgang mit anderen weißen Kindern sucht? Ich weiß es letztlich nicht. Ich kann mich nur erinnern, dass es mich damals im Kindergarten auch verletzt hat, wenn mir andere Kinder Schlitzaugen gezogen oder „Ching Chang Chong“ zu mir gesagt haben. Ich konnte es auch nicht leiden, wenn sich jemand an Karneval oder Fasching als Chinesin verkleidete, weil die Kinder dann häufig die Stereotype nachspielten und dann so etwas wie „Flühlingslolle“ zu mir sagten. Das habe ich als Ausgrenzung wahrgenommen. Denn ich wollte dazu gehören. Irgendwie hat das auch die Kindergartenzeit für mich schwer gemacht. Rückblickend kam es also auch nicht von ungefähr, dass ich häufig mit Kindern spielte, die ebenfalls eine Familiengeschichte internationalen Ursprungs hatten.
Ich denke und hoffe natürlich, dass ich dir mit dieser langen Vorrede nun schon verdeutlichen konnte, warum das Rassismus-Thema so relevant für unsere Gesellschaft ist. Nun möchte ich aber zu dem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden“ an sich kommen.
Warum wir uns alle mit Rassismus beschäftigen sollten
Beim Lesen des Buches wurde mir klar, dass ich selbst rassistische Strukturen und Denkweisen in mir trage, ohne diese bewusst wahrzunehmen. So ging es mir übrigens beim Lesen des Alice Hasters Buches auch. Ich dachte immer, dass ich nicht rassistisch sei, weil ich ja schon oft genug als asiatisch aussehende Frau am eigenen Leib erfahren habe, wie sich Rassismus anfühlt. Während der beiden Corona-Lockdowns war das richtig schlimm. Aber nach dem Lesen des Buches weiß ich, dass ich mich da überhaupt nicht rausnehmen kann, obwohl ich für das Thema auch durch mein Auslandsjahr in den Südstaaten der USA schon immer sensibilisiert war. Der Ku-Klux-Klan hat ja seinen Ursprung in den Südstaaten der USA, wo er über viele Jahre hinweg sein Unwesen trieb. Dass also Unterschiede in der Hautfarbe gemacht werden, konnte ich während dieses Austauschjahres im Schuljahr 2000/2001 durchaus feststellen.
Das Bedienen von Stereotypen
Ich versuche dir das mal an einem Beispiel zu verdeutlichen, warum ich weiß, dass auch ich rassistische Strukturen in mir trage: Ich bin derzeit Mitglied eines Ukulele-Ensembles, das von einem Brasilianer geleitet wird. Wenn ich sage: „Die Brasilianer, die haben das mit der Musik einfach im Blut.“, dann ist das an sich schon eine rassistische Aussage. Zugegeben: Es ist positiver Rassismus, der hier zur Geltung kommt, aber wenn man das Buch von Sarah Vecera gelesen hat, versteht man, dass keine Art von Rassismus, also sowohl der Negative als auch der Positive, einen Mehrwert bietet, weil ich der betroffenen Person die Individualität abspreche. Das ist genauso, wie wenn man davon ausgeht, dass ich unheimlich diszipliniert und ordentlich wäre, weil ich asiatisch aussehe. Ich gebe zu, dass ich vermutlich diszipliniert bin, aber die meiste Zeit am Tag herrscht ein unglaubliches Chaos in meinem Kopf. Du müsstest mal meinen Schreibtisch sehen! Ich bin also das Gegenteil von ordentlich. Die Formulierung etwas „im Blut haben“ spricht einem das Talent ab bzw. eine gewisse Talentlosigkeit zu. Also wenn ein weißer Mensch ein unheimlich toller Musiklehrer ist, dann hat er Talent, während ein toller, brasilianischer Musiklehrer das einfach nur „im Blut hat“. Kannst du den Unterschied in den Aussagen erkennen? Beide Aussagen wirken unterschiedlich nach. Deswegen bringt auch dieser positive Rassismus keinen Mehrwert. Ich habe neulich nach dem Buchabend mit einer anderen Freundin über genau dieses Thema, nämlich positiver Rassismus gesprochen. Sie stellte mir die Frage: „Ist das Rassismus oder ist das einfach nur das Bedienen von Stereotypen?“ Ich wusste keine Antwort darauf, aber ich denke, dass das eine in das andere übergreift bzw. sich komplementär zueinander verhält. Die Sache mit den Stereotypen ist die, dass wir das alle unbewusst machen. Wir stecken Menschen mit ihren Verhaltensweisen in Schubladen, weil uns das Sicherheit im täglichen Umgang mit ihnen gibt. Für mich ist das etwas zutiefst Menschliches. Es ist schwer aus diesem Schubladen-Denken raus zu kommen. Besonders Menschen einer älteren Generation haben damit Probleme. Das ist so, wie wenn man sein Leben lang gelernt hat, dass die Erde rund ist wie eine Kugel und eines Tages kommt einer daher und behauptet: „Die Erde ist gar nicht rund, sondern platt wie ein Teller.“ Dann muss wieder alles umgelernt werden. Ungefähr so muss sich die Rassismus-Debatte für ältere Generationen anfühlen. Trotzdem ist es meines Erachtens zu kurz gedacht heute noch „Mohrenapotheke“ zu sagen oder das N-Wort zu verwenden mit der Begründung „Der meint das doch nicht böse. Der denkt sich nichts dabei. Der ist durch Jim Knopf und Pippi Langstrumpf durch sein Aufwachsen in seiner Sprache so geprägt worden.“ etc. Das mag ja alles sein, dass er/sie das nicht so meint, aber in dem Moment, wo mir eine schwarze Person mitteilt, dass sie sich durch Verwendung dieser Sprache gekränkt und ausgeschlossen fühlt, muss er/sie das mit dem N-Wort sein lassen. So ein Verhalten demonstriert eine ignorante Haltung gegenüber anderen Menschen. Wir sind alle durch Jim Knopf und Pippi geprägt worden. Das ist also keine Entschuldigung.
Unsere Prägung
Ich möchte hier nochmal einen Impuls teilen, den mir die Richterin-Mutter gegeben hat, als ich sie gefragt habe, ob ich etwas über die Inhalte unseres Buchabends auf meinem Blog schreiben darf:
„Vor allem das Thema Prägung hat mich weiter beschäftigt.
Sarah Vecera thematisiert in ihrem Buch ja u.a. diese kleinen täglichen Nadelstiche; etwa wenn Menschen die Straßenseite wechseln, wenn ihnen eine männliche PoC-Person entgegen kommt. Da ist ja schon die Frage, woher das kommt, dass Menschen glauben, dieser Mann sei gefährlich für sie – gefährlicher als andere unbekannte Männer.
Da ist mir unter der Überschrift „Prägung“ eingefallen, dass wir früher im Sportunterricht, im Turnverein, im Kindergarten das Spiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ gespielt haben. Kennt ihr das auch?
Es geht so: ein Kind steht auf der einen Seite der Turnhalle, alle anderen Kinder auf der gegenüberliegenden Seite. Dann ruft das einzelne Kind: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ und die anderen Kinder antworten: „Niemand!“ darauf das Einzelkind: „Und wenn er kommt?“ und die anderen: „Dann laufen wir!“
Auf dieses Stichwort rennen alle Kinder los, aufeinander zu; also die Masse auf das Einzelkind. Ziel ist es, dass das Einzelkind „der schwarze Mann“ möglichst viele Kinder erwischt, also fängt, die dann in der nächsten Runde gemeinsam „schwarzer Mann“ sind. Dann wird wieder gerufen und immer so weiter, bis alle Kinder vom „schwarzen Mann“ gefangen sind. Da es natürlich immer mehr Kinder werden, die fangen, entkommt am Ende dem „schwarzen Mann“ keiner.
So. Ich habe dieses Spiel als Kind in den 1980er Jahren unzählige Male gespielt. Das es rassistisch sein könnte, habe ich erst bemerkt, als ich angefangen habe zu überlegen, woher diese Ressentiments ggü. PoC in der Gesellschaft kommen. Bis dahin war das für mich einfach ein Bewegungsspiel, bei dem man eben Fangen spielt…
Zurück zum Stichwort Prägung:
Wer als Kind immer wieder im Spiel geübt hat, dass er Laufen muss, wenn „der schwarze Mann“ kommt, wenn man ihm entkommen will, der wechselt doch unterbewusst ganz automatisch in so einer Situation die Straßenseite.
Ich vermute, dass es noch viel mehr Beispiele gibt, die uns unterbewusst geprägt haben. Mit dieser Prägung müssen wir uns beschäftigen, wenn wir gegen Rassismus etwas ausrichten wollen und vor allem, wenn wir diese Prägung nicht an unsere Kinder weitergeben wollen.
Zum Schluss ein Zitat, das ich bei Quinton Ceasar gefunden habe. Ich erinnere es leider nur sinngemäß:
„Erst wenn weiße Menschen Rassismus als ihr Problem begreifen und nicht als Problem der PoC mit dem man freundlich und sensibel umgehen muss, haben wir eine Chance, dass Rassismus weniger wird“
Also: Schreib gern über unseren Austausch, unsere Gedanken und Gespräche. Es ist so wichtig! Und ich für mich kann nur sagen, dass ich hoffe, irgendwann wenigstens einen Großteil meiner Prägung in diesem Bereich abgelegt zuhaben. Es wird ein langer Weg sein…“
Ist das nicht toll zusammen gefasst, um was es hier eigentlich geht? Das Spiel „Wer hat Angst vom schwarzen Mann“ habe ich übrigens auch in den 80er Jahren im Kinderturnen gespielt. Dass Rentner die Straßenseite wechseln, sobald Samy Deluxe das Haus verlässt, das rappt er auch in dieser unfassbar tollen Kombi mit Max Raabe in diesem Lied:
Jetzt habe ich es immer noch nicht wirklich geschafft tiefgehend über das Buch zu schreiben. Aber du merkst, dass mich solche Bücher stark zum Nachdenken bringen und mir gefallen die Gespräche, die um dieses Buch herum entstanden sind. Ich glaube, dass unser Buchkreis ein guter Anfang ist, dass sich grundlegend und langfristig etwas für unsere nachfolgenden Generationen in der Wahrnehmung von Rassismus ändern kann.
Jetzt nochmal kurz zum Buch selbst:
Ein wichtiger Aspekt war für mich, dass gerade die Institution Kirche Rassismus in seiner demoralisierenden Wirkung mit all ihren Kräften von sich weist. Also in dem Sinne: „Rassismus? So etwas gibt es bei uns nicht.“ Warum das so ist, hat gewiss auch historische Hintergründe. Aber gerade diese Haltung macht die Kirche extrem blind für rassistische Aspekte des alltäglichen Lebens. Deswegen ist dieses Buch auch so wichtig und bietet dementsprechend eine vielversprechende Diskussionsgrundlage, und zwar nicht nur für die Kirche selbst, sondern auch für uns als Gesellschaft im Ganzen.
Die Autorin Sarah Vecera hat das Buch sehr empathisch geschrieben, und zwar für jemanden der weiß ist und noch nie Berührungspunkte zum Rassismus-Thema hatte. Sie schreibt immer von sich, nie im vorwurfsvollem „Du“. Sie erkennt auch, so wie ich, dass sie rassistische Denkstrukturen in sich trägt und nimmt sich daher aus dem Thema auch nicht raus. Sie ist unheimlich reflektiert, verwendet eine sympathische Sprache und wirkt dadurch überhaupt nicht arrogant oder herablassend. Ich denke, dass genau diese Haltung gegenüber dem Lesenden den großen Erfolg dieses Buches ausmacht. Es ist sanft und dennoch tut es weh es zu lesen. Ein Feedback zu meinem Buchabend mit den beiden Müttern war: „Es tut gut Unangenehmes auszusprechen.“ Rassismus ist für uns alle ein unangenehmes Thema. Ich schreibe da auch nicht gerne drüber. Aber ich spüre, dass es wichtig ist das zu kommunizieren, und zwar für das Feine und für die unausgesprochenen Zwischentöne im Leben.
Falls du neugierig darauf geworden bist, findest du es in jedem Buchladen deiner Wahl oder auch online:
Ich habe mich übrigens auch mit Jan, also den Priester, der neulich diesen Gastbeitrag über Alkohol & Kirche für mich geschrieben hat, über dieses Thema ausgetauscht.
Er hat mal eine Zeit lang in Mexico gelebt und mir einige Bilder gezeigt, wie Jesus und Maria beispielsweise auf Guadalupe in lateinamerikanischen und afrikanischen Kontexten verehrt und gefeiert werden: Darauf ist ein schwarzer Jesus mit einer schwarzen Maria abgebildet. Alles andere wäre auch total schräg für die Bevölkerung dort.
Ein bisschen weiterführend sind bei Interesse auch diese Artikel zum Thema Hautfarbe Jesu:
Warum wir uns Jesus als Europäer vorstellen – und das ändern sollten