Vor kurzem hat mir der EMF Verlag das Kinderbuch „Steck mal in meiner Haut!“ von den Autorinnen Saskia Hödl und Pia Amofa-Antwi sowie der Illustratorin Emily Claire Völker zur Verfügung gestellt. Genau darum soll es im heutigen Blogbeitrag gehen:
„Steck mal in meiner Haut!“ ist ein kurzweiliges und schön gestaltetes Kinderbuch mit einem sehr überzeugenden Vorwort. In diesem Vorwort wird verständlich dargestellt, warum es wichtig ist, weshalb es vor allem auch für Weiße von Vorteil ist, sich mit Rassismus zu befassen. Dass Weißsein als vermeintliche Norm gilt, lernen Kinder nämlich schon sehr früh. „Das beeinflusst ihr Selbstbild und beschränkt ihre Wahrnehmung der Welt.“ [S. 2] Demnach werden auch weiße Kinder von dem Inhalt dieses Buches sehr profitieren.
Spannend fand ich, dass in dem Buch explizit auf das Thema Mehrsprachigkeit eingegangen wird. Denn auch wir mussten uns nach der Geburt unserer Kinder vor gewissen Leuten rechtfertigen, warum wir unsere Kinder zweisprachig, also spanisch-deutsch, erziehen. Leider herrscht auch heute noch sehr viel Halbwissen zum Thema Mehrsprachigkeit. Es gibt viele Vorurteile. Diese hielten meine Eltern damals in den 80er Jahren auch davon ab meine Geschwister und mich mehrsprachig, also in unserem Fall vietnamesisch-deutsch, zu erziehen. Heute gehe ich aber zum Beispiel äußerst gerne vietnamesisch essen und werde in den Restaurants häufig von den Besitzern oder Besitzerinnen als Einheimische gelesen und auf vietnamesisch angesprochen. Ich kann leider nie zurück antworten. Dies stimmt mich tatsächlich oft traurig. Meine Eltern werden ihre Gründe gehabt haben, warum sie uns damals nur einsprachig erzogen haben. Dennoch wundert es mich, dass die heutige Elterngeneration hinsichtlich der Mehrsprachigkeit immer noch mit den gleichen Vorurteilen zu kämpfen hat, wie damals in den 80ern. Man könnte fast meinen die Welt hätte sich nicht weiter entwickelt.
Weiterhin hat mir gut gefallen, dass das Buch auch auf Rassismus gegenüber Weltreligionen eingeht, insbesondere in Bezug auf das Judentum. Ich habe eine Freundin, die Jüdin ist. Vor ein paar Jahren hat sie sich mir gegenüber geöffnet und sprach mit mir darüber, was sie sich schon alles anhören musste in Bezug auf ihre jüdische Herkunft. Als ich das gehört habe, bin ich tatsächlich aus allen Wolken gefallen. Bis zum damaligen Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung davon, dass es so etwas wie Judenfeindlichkeit in unserem Land überhaupt noch gibt, besonders vor diesem national-sozialistischen Hintergrund, der diesem Land anhaftet. Die Schilderungen meiner jüdischen Freundin zeigten mir damals, wie sehr ich doch in einer Blase lebte. Meine Freundin erzählt so gut wie niemanden, dass sie Jüdin ist. Es hat sie viel Überwindung gekostet mir das zu erzählen und ist somit ein riesiger Vertrauensbeweis ihrerseits mir gegenüber gewesen. Denn Jüdin zu sein und dies zu offenbaren, bedeutet sich verletzlich zu machen. Das war mir vorher gar nicht klar. Für mich war das Judentum eine andere Weltreligion, so wie der Islam oder der Buddhismus auch; mehr nicht. Deswegen finde ich es so bereichernd, dass genau dieses Thema auch Platz in diesem so wertvollen Kinderbuch findet.
Zum besseren Verstehen der Hintergründe werden in dem Buch auch der Holocaust und der Kolonialismus erörtert. Dies geschieht aber auf einer sehr sachlichen Ebene und ohne jegliche Darstellung von Gewalt. Deswegen sind diese schweren Themen dann auch gut mit den Kindern besprechbar. Die Frage, ob die Kinder nicht zu jung für solche Themen sind, steht selbstverständlich im Raum. Ich habe für mich entschieden, dass sie nicht zu jung dafür sind. Denn schließlich sucht sich kein PoC[1]-Kind aus, wann es zum ersten Mal Erfahrungen mit Rassismus macht. Bei einem Rassismus-Themenabend neulich, u. a. mit dem Aktivisten Gianni Jovanovic und der Sängerin Celina Bostic, wurde diese Frage auch besprochen. Sie meinten, dass ein Kind in der Regel bereits im Kindergarten erste Erfahrungen damit macht. Insofern halte ich das Zielgruppenalter ab fünf Jahren für gerechtfertigt. Man mutet den Kindern in diesem Alter ja auch schon die Geschichte von Hänsel und Gretel oder den Struwwelpeter zu. Ich räume allerdings ein, dass ich die Aufmerksamkeit meines Fünfjährigen bisher nur bis zur dritten Doppelseite halten konnte. Ich weiß aber, dass Jungs und Mädchen in dem Alter sehr unterschiedlich sind. Jedes Kind entwickelt sich individuell und in seinem eigenen Tempo. Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass ein gleichaltriges Mädchen oder eben auch ein anderer Junge da bestimmt tiefer einsteigen würde. Ganz nebenbei finde ich diese Art von Literatur auch gut, weil sie ebenfalls in anderen Ausgrenzungskontexten hilfreich ist; Mobbing am Arbeitsplatz wäre da so ein Beispiel. Das Buch vermittelt, dass es wichtig ist zwischenmenschliche Missstände, die einem auffallen, offen anzusprechen oder dass man sich zumindest einer lieben Person mit seinen Problemen anvertraut. Das heißt, wenn man sich mit dieser Literatur befasst, ist man auch für viele andere Lebenssituationen gewappnet.
Es wird aufgezeigt, was alles Familie sein kann, und zwar in sämtlichen Konstellationen. Dabei wird deutlich, dass die Quintessenz folgende ist: „Familie sind die Menschen, die sich um dich kümmern und bei denen du dich zu Hause fühlst.“ [S. 20] Als ich diesen Satz gelesen habe, musste ich mich fragen, ob das wirklich bei jedem Kind so ist im Zusammenhang mit was im Allgemeinen so traditionell als Familie gilt. Jedenfalls wäre das ein wünschenswerter Zustand. Auch Inklusion wird thematisiert. Somit deckt das Buch sämtliche integrative Themenschwerpunkte ab.
Zudem wird zu mehr Vielfalt im Kinderzimmer aufgerufen. Für das Selbstbild von BIPoC[2]-Kindern ist es wichtig, dass sie sich in ihren eigenen Lebensrealitäten widerfinden können. Sie müssen also in ihrer eigenen Wahrnehmung vorkommen. Diverse Puppen, Spiele, Bücher oder Stifte gibt es dazu schon, zum Beispiel in dem Online-Shop Tebalou.
Im Buch selbst sind etliche Hinweise für Eltern und Erzieher*innen hinterlegt, sodass ich selbst noch unheimlich viel beim Lesen gelernt habe.
Die Empathiefähigkeit in Sachen Sprache wird mit dieser Lektüre hervorragend geschult. Für die nachfolgenden Generationen sehe ich somit eine große Chance ihr Potential auszuschöpfen. Dies ist sehr wertvoll, insbesondere für den hiesigen Fachkräftemangel. Denn wir leben mittlerweile in einer Zeit, in der wir es uns nicht mehr leisten können, dass sich Menschen internationalen Ursprungs, hier nicht wohl fühlen. Wir sind auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Ich wünsche mir so sehr, dass sich die Strukturen dahingehend verändern, dass Ausländer, die zum Beispiel hierzulande ihr Technik-Studium absolvieren, in ihrem Bereich auch Arbeit finden und nicht als Lagerist arbeiten müssen, wie es zum Beispiel damals in den 70er Jahren meinem vietnamesischen Onkel passiert ist. Er genoss damals die gleiche Ausbildung wie mein deutscher Vater. Als weißer Mann landete mein Vater damals in der Automobilindustrie, während mein Onkel nach etlichen Bewerbungsversuchen über Jahre hinweg keine Anstellung als Ingenieur fand. Da er aber Frau und Kinder zu ernähren hatte, nahm er dann die Tätigkeit als Lagerist auf. Von dem ganzen Wissen, das mein Onkel sich während seines Ingenieursstudiums angeeignet hatte, konnte er während seiner Berufsjahre keinen Gebrauch machen. Das, was ihm damals passiert ist, ist für mich struktureller Rassismus. Und das ist das, was ich mit Potential ausschöpfen meine. Als Gemeinschaft im Kollektiv werden alle langfristig davon profitieren. Deswegen feiere ich diese Art von Literatur und kann dieses Buch aus den genannten Gründen daher wärmstens empfehlen. Ich vergebe somit fünf von fünf Sternen.
Falls du neugierig darauf geworden bist, findest du es in jedem Buchladen deiner Wahl oder auch online:
[1] PoC = People oder Person of Color
[2] BIPoC = Black (Schwarz), Indigenous und People/Person of Color. Dieser Begriff versammelt Menschen, die in einer weißen Mehrheitsgesellschaft Rassismus erfahren. Die Erfahrungen können sich dennoch stark unterscheiden. Black und Indigenous sind häufiger und anders von Rassismus betroffen als PoC. Schwarz und PoC sind nicht synoynm. Eine Kritik an dem Begriff ist, dass er Juden, Jüd*innen und Betroffene von antislawischem Rassismus nicht explizit miteinschließt. BIPoC gibt keine Auskunft über einen Migrationshintergrund. [Saskia Hödl, Pia Amofa-Antwi und Emily Claire Völker, Steck mal in meiner Haut!, EMF Verlag, Igling, 3. Auflage 2022, S. 45]