Für ein positives Leben ohne Alkohol.

Empfehlungen, Nüchternheit, Sensibilität

Gedanken zu Diana Kinnerts Buch „Die neue Einsamkeit“

Buchcover

Zunächst einmal möchte ich die Autorin und Politikerin Diana Kinnert dafür loben, dass sie sich diesem wichtigen Thema widmet und es somit in die öffentlichen Debatten miteinbringt. Ich wollte dieses Buch ab der Minute seiner Veröffentlichung lesen, weil es mich so stark angesprochen hat. Ich wusste, dass einiges, was darin beschrieben wird, mir so auch in meinen 20ern widerfahren ist. Es hat allerdings bis jetzt gebraucht bis ich mich getraut habe es zu lesen, weil man sich dem Thema Einsamkeit nicht gerne widmet. Es ist ein schweres Thema, bei dem man gerne mal wegschaut. Wenn man von Einsamkeit betroffen ist, lastet diese zudem unheimlich auf den eigenen Schultern. Diana Kinnert ist zwar fast ein ganzes Jahrzehnt jünger als ich, aber durch die Lektüre ihres Buches habe ich den Eindruck, dass sie so viele Dinge sehr viel früher als ich verstanden hat.

Das, was sie in diesem Buch beschreibt, erinnert mich stark an dieses mächtige Lied von Peter Fox ‚Schwarz zu Blau‘, in dem er das Dasein im alltäglichen Berlin beschreibt. Insbesondere diese Textzeile kommt mir dabei in den Sinn:

Jeder hat einen Hund, aber keinen zum Reden.

Das trifft genau das intensive Gefühl, welches mich meine gesamte Adoleszenz hin begleitet hat. Damals habe ich mich aber nicht getraut das so zu benennen; das Wort „einsam“ überhaupt nur in den Mund zu nehmen. Tief im Inneren wusste ich zwar, dass ich das bin, aber zugleich habe ich mich auch dafür geschämt. Die Scham über die eigene Einsamkeit, auch das wird in dem Buch gut beschrieben. Denn eigentlich möchte man gar nicht darüber reden. Viel lieber gab ich damals vor eine Andere zu sein. Betäubt habe ich diese Einsamkeitsgefühle mit Alkohol. Mittlerweile trinke ich seit acht Jahren keinen Alkohol mehr, weil mein Konsum sehr problembehaftet war und ich dies noch rechtzeitig bemerkt habe. Dies bedeutet aber nicht, dass ich mich seitdem nicht mehr einsam gefühlt habe. Es bedeutet nur, dass ich mir seitdem bessere, gesündere Methoden angeeignet habe mit meiner Einsamkeit umzugehen. Eine davon ist, mit mir selbst in Verbindung zu gehen. Also meine Gefühle, so wie sie nun mal da sind, zuzulassen und nicht, wie früher durch den Alkohol, einfach wegzudrücken. Ich schaffe das über meine Musik oder indem ich liebevoll und tröstend im Kopf zu mir spreche.

Aufgrund meines medienlastigen Studiums musste ich besonders zum Ende hin und während meiner Berufseinsteigerjahre SEHR viel umziehen. Gefühlt zog ich damals von Großstadt zu Großstadt, in der ich es selten länger aushielt. Die befristeten Arbeitsverträge trugen ihren Teil dazu bei. Flexibilität und Agilität sind heute mehr gefragt denn je. Jemand, der so wie ich, seine festen Strukturen braucht, um sich sicher zu fühlen, weniger. Der Rausch am Wochenende war das einzig Feste, das mir zu jener Zeit Halt gab. Er war wie eine Konstante in meinem Leben und vor allem so schnell da: Auf Knopfdruck Entspannung.

Gekoppelt war diese Zeit damals an eine fünfjährige Fernbeziehung zu einem Trompeter, der ebenfalls von Stadt zu Stadt zog. Dadurch, dass wir uns nur an den Wochenenden sahen, war es mir nicht möglich in den Städten, in denen ich jeweils wohnte, anzukommen. Ich war dort also nur zum Arbeiten und am Wochenende mit der Deutschen Bahn unterwegs. Unter der Woche habe ich meinen Freund und meine echten Freund:innen vermisst. Für mich macht es einfach einen Unterschied, ob ich mit meinen Liebsten über ein funktionierendes Glasfasernetz und einem Monitor verbunden bin, oder ihnen so richtig haptisch, also physisch von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitze.

Unter der Unverbindlichkeit neuer und flüchtiger Kontakte, die ich mir so nach und nach angeeignet habe, habe ich sehr gelitten. Ich schämte mich dafür, dass ich so lost in der Großstadt war. Dass ich es einfach nicht schaffte Anschluss zu finden. Ich kenne Menschen, die sehr extrovertiert sind und solche Gefühle überhaupt nicht kennen. Denn ihnen fällt es nicht schwer private Kontakte zu Arbeitskollegen herzustellen. Oft schon hatte ich das Gefühl, dass diese Menschen in unserer Gesellschaft den Ton angeben bzw. dass du einfach mehr gefragt bist, wenn du extrovertiert bist und auf andere Menschen zu gehen kannst. Durch das Buch von Diana Kinnert weiß ich, dass ich nicht die Einzige bin, die so fühlt. Dass es da draußen sehr viele Menschen gibt, die sich nicht gesehen und sich irgendwie vom Kapitalismus überrollt fühlen.

Heute denke ich, dass mich das Trinken an sich sehr einsam gemacht hat, weil ich so überhaupt nicht für mich da war. Ich konnte mich nicht gut um mich selber kümmern. So war es mir unmöglich gewesen echte, aufrichtige Beziehungen in den Städten, in denen ich gelebt habe, aufzubauen. Durch den Alkohol und die Katererlebnisse war ich häufig von einem dunstigen Nebel umhüllt, der mir die klare Sicht versperrte. Er stand mir in der Problemlösung die ganze Zeit im Weg. Ich war zu meinen Alkoholzeiten sozusagen nur mit angezogener Handbremse unterwegs. Dies sieht heute ganz anders aus. Dass ich so viele echte Verbindungen habe, hängt eindeutig mit meiner Nüchternheit zusammen.

Kinnert sorgt dafür, dass dieses Thema der neuen Einsamkeit in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt wird. Wenn wir darüber sprechen und dem Thema eine Bühne geben, haben wir sehr gute Chancen mit uns selbst und vor allem auch mit anderen zu verbinden. So kann man dem beklemmenden Gefühl der Einsamkeit ein gutes Stück entgegenwirken.

Diana Kinnert hat sehr viele spannende Aspekte zu dem Problem beleuchtet, die mir so gar nicht bewusst waren und zugleich erste mögliche Lösungsansätze vorgestellt, die gewiss noch ausgebaut werden können. Herausragend fand ich noch, dass sie darauf eingegangen ist, inwiefern eine Trump-Präsidentschaft mittels Twitter überhaupt erst möglich war. Auch das war ein Aspekt, der mir so vorher gar nicht bewusst war. Mir gefällt es, wenn jemand die sozialen Medien so gekonnt und fundiert hinterfragt. Großes Lob dafür!

Dem Inhalt des Buches gebe ich somit fünf von fünf Sternen. Diana Kinnert trifft für mich damit genau den Zahn der Zeit. Für den Lesefluss vergebe ich nur drei Sterne, da mir das Buch insgesamt zu lang vorkam: Es gab ein paar Wiederholungen und teilweise hatte ich den Eindruck, dass sich die Autorin in ihren bildlichen Schilderungen etwas verliert. Aber generell mag ich ihren kurzweiligen und ansprechenden Schreibstil. Deswegen hat sie mich mit dem Buch auch so gut abgeholt. Aus den genannten Gründen bekommt das Buch insgesamt vier von fünf Sternen von mir.

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