Glauben und Kirche – Jesus verwandelt Wasser zu Wein beim Abendmahl. Während der Jahre, die ich nun schon nüchtern lebe und seitdem ich mit meiner Geschichte raus gegangen bin, treffe ich in der #nüchtern-Bewegung hin und wieder auf Menschen, die durchaus gläubig und regelmäßige Kirchengänger:innen sind. Inwieweit legitimiert die Kirche bzw. die Bibel das abendmahliche Weintrinken und inwiefern verstößt sie den Trinkenden, den Abhängigen, also denjenigen, der die Kontrolle über seinen Konsum verloren hat? In Gesprächen mit Freund:innen fällt mir auf, dass Alkohol in kaum einer anderen Weltreligion eine so große Rolle spielt wie im Christentum. Häufig wird mir berichtet, dass Jugendliche über kirchliche Lebensereignisse, wie die eigene Konfirmation oder die Firmung bei den Katholiken, durch ihre Eltern zum erstmaligen Alkoholtrinken sogar animiert werden, so als ob das nun so von ihnen erwartet werde. Im Osten nennt man das die Jugendweihe. Trägt die Kirche also vielleicht sogar dazu bei, dass wir uns für unsere Sucht schämen und uns deshalb nicht trauen da früher hin zu schauen?
All das sind Fragen, die ich mir schon länger gestellt habe. Leider bin ich keine Expertin auf diesem Gebiet. Aber ich kenne jemanden, der sich da besser auskennt; nämlich Jan. Jan Henrik Röttgers ist Priester im Bistum Münster.
Eigentlich kennen wir uns über unsere Kooperationen mit NACOA. Das ist der Verein, der sich für die Interessen von Kindern aus suchtbelasteten Familien einsetzt. Zum ersten Mal bin ich auf ihn aufmerksam geworden, als mir über Instagram dieses Video von ihm in die Hände gespielt wurde:
Er hattes es anlässlich der NACOA-Aktionswoche von vor zwei Jahren produziert und mich tief damit berührt. Vermutlich liegt das an seiner ruhigen und souveränen Art Dinge vorzutragen. Seitdem stecken wir hin und wieder mal unsere Köpfe zusammen und überlegen uns, wie wir die Arbeit von NACOA unterstützen können. Denn das Wohlergehen von Kindern aus suchtbelasteten Familien ist uns tatsächlich ein Herzensthema. Genau aus diesem Grund habe ich mich Ende letzten Jahres auch dazu entschlossen NACOA-Vollmitglied zu werden. Das heißt, dass ich mit einem Jahresbeitrag von 30 EUR die Projekte des Vereins unterstütze. Falls ihr euch auch für eine NACOA-Vereinsmitgliedschaft interessieren solltet, findet ihr unter folgendem Link mehr Infos dazu:
Der Vollständigkeit halber möchte ich euch hier nochmal Jans NACOA-Lunch-Time-Interview verlinken.
Jetzt wisst ihr, woher Jan und ich uns kennen. Ich freue mich riesig, dass er einen Gastbeitrag für meinen Blog geschrieben hat, den ich heute mit euch teilen darf. Viel Freude beim Lesen!
Das Saufen und die Kirche
„Wenn Jesus schon Wasser in Wein verwandelt hat, dann wird er sicher nichts dagegen haben, wenn wir heute Party machen.“ Mit einem Augenzwinkern wurde das öfter mal bei Partys meiner Messdienergemeinschaft in meiner Heimat gesagt und dann das erste Bier aufgemacht. Vielleicht mag das ein speziell katholischer Zugang zu dieser Bibelstelle der Hochzeit zu Kana im Johannes-Evangelium (Joh 2,1–12) sein, denn Katholik:innen sagt man für gewöhnlich häufig eine feucht-fröhliche Lebensart und einen gelassenen und offenen Umgang mit den Gütern und Freuden dieser Welt nach. Alkohol bildet da keine Ausnahme.
Dennoch ist der Umgang mit Alkohol aus christlicher Perspektive doch differenzierter zu sehen und ich möchte einige Schlaglichter nennen, die mir im Umgang mit Alkohol und auch dessen missbräuchlichen Gebrauch aufgefallen sind, die dieses Themenfeld etwas erhellen könnten. Es bietet sich ein Dreischritt an. Zum ersten die biblischen Grundlagen zu befragen, ob dort etwas über Alkoholismus und Alkohol an sich zu finden ist. Zum zweiten geschichtliche Entwicklungen innerhalb des Christentums zu skizzieren und drittens von der Theologie und Spiritualität her zu fragen, ob von dort her Potentiale auszumachen sind, die im Kampf gegen Abhängigkeiten helfen könnten.
1. Bibel und Alkohol
Sicher ist die Hochzeit zu Kana eine der prominentesten Stellen, in der Alkohol thematisiert wird. Dieses theologisch aufgeladene Wunder der Verwandlung von Wasser zu Wein zu Beginn des Wirkens Jesu ist in der Komposition des Johannes-Evangeliums eine Vorankündigung der Fülle, die durch den Messias Jesus gebracht werden soll. Wasser und Wein stehen symbolisch einerseits für Alltägliches und andererseits für Freude und Überfluss. Daraus abzuleiten, dass grundsätzlich ein alkoholnaher Lebensstil zu bevorzugen sei, ist kurzschlüssig, verbietet sich seriöser Exegese (Bibelauslegung) und verkennt die zugrundeliegende und entscheidende Symbolik völlig.
Die Kultur des Weinbaus, die in der Antike schon betrieben wurde, findet in verschiedenen Passagen des Alten Testaments oder Aussprüchen Jesu ihren Widerhall und zeigt, dass Wein bekannt und weit geschätzt war. Es finden sich in der Bibel aber auch schon vereinzelt kritische Aussagen über die berauschende Wirkung des Alkohols. In der Noah-Geschichte im Buch Genesis wird eine Episode beschrieben, in der es um einen Rausch Noahs geht und die Ausgangspunkt für einen familiären Konflikt ist (Gen 9,20-27).
Es finden sich Mahnungen bei den Prophetenbüchern sich nicht zu berauschen. Hier besonders scharf im Buch Jesaja:
Wehe denen, die früh am Morgen dem Bier nachjagen und in der Dämmerung lange aushalten, wenn der Wein sie erhitzt.
Jes 5,11
Im Neuen Testament ist die Mahnung zur Wachsamkeit, die den Menschen in der Nachfolge aufgetragen ist, verbunden mit der Bitte die Sinne nicht einzutrüben durch Alkohol. (z.B. 1 Petr 5,8 „Seid nüchtern, seid wachsam!“).
Die Alkoholkrankheit scheint in den Büchern der Bibel schon bekannt gewesen zu sein. Jedenfalls wird in den Anforderungskatalogen für Bischöfe (Episkopenordnung) in den neutestamentlichen Briefen gefordert, dass der Bischof „kein Trinker sei“ (1 Tim 3,3) und „nicht dem Wein ergeben“ (Tit 1,7). Daraus lässt sich jedenfalls ableiten, dass die potentiell krankmachende Wirkung des Alkohols und die damit einhergehende Unfähigkeit gescheit Verantwortung für andere zu übernehmen, bekannt war und kritisch gesehen wurde.
2. Geschichtliche Linien
Nicht nur der biblische Befund zeigt ein ambivalentes Bild, sondern auch das Verhältnis zum Alkohol in der Kirche im Lauf der Geschichte ist wendungsreich. Klöster in Europa sind oftmals Zentren der Bierbrauerei gewesen: Zuerst um eigene Bedarfe abzudecken und später auch um sie gewinnbringend an andere Leute zu verkaufen. Für Fastenzeiten wurden spezielle kalorienreiche Fastenbiere gebraut, um das Fasten nicht zu brechen. Bei den Gottesdiensten findet Wein Verwendung in Erinnerung des letzten Mahls mit den Jüngern vor der Kreuzigung als Zeichen für Jesu Blut. Hier findet ein legitimierender Umgang mit Alkohol statt.
Zugleich wird in Fastenzeiten aber auch oft auf Alkohol und Rausch verzichtet und das den Leuten empfohlen und dementsprechend gepredigt. Insbesondere im protestantischen Bereich hat sich auch eine Abstinenzbewegung etabliert. Führende Gestalten der Prohibitionsbewegung des 19. und 20. Jh. in den USA taten dies aufgrund ihrer christlichen Haltung. Dass der Gedanke an grundsätzliche Alkohol-Abstinenz sich verbreitet hat, wird sicher auch auf das Wirken der Kirchen zurückführen sein, so wird z.B. von den Mitgliedern der Heilsarmee der Verzicht auf Alkohol erwartet. Auch gibt es bspw. mit dem evangelischen Blauen Kreuz und dem katholischen Kreuzbund christliche Selbsthilfegruppen, Interessenvertretungen und Verbände für Suchtkranke, die ganz natürlich Teil der diakonischen Arbeit der Kirchen sind.
In der wachsenden gesellschaftlichen Anerkenntnis, dass Alkoholismus eine Krankheit ist und kein charakterlicher oder moralischer Defekt, hat sich auch die Bewertung von Alkoholismus in der kirchlichen Verkündigung gewandelt. Somit wird Sucht weniger schuldbeladen gesehen, sondern eher nach den Hilfen gefragt, die der Glaube liefern könnte.
3. Glauben und die Abhängigkeit
Hilfreich könnte die Vergewisserung aus dem christlichen Menschenbild sein. Sie kann dazu beitragen den eigenen Blick hierfür zu weiten.
Wird im Anschluss an die Ursprungserzählungen in Genesis grundsätzlich die Schöpfung und in ihr der Mensch als gut anerkannt und geglaubt, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, wie trotz eines allmächtig geglaubten Gottes diese gute Ordnung gestört werden konnte und wie das Böse ins Spiel kommt. Dass es Zerstörung und Leid gibt, scheint nicht der Schöpfungsintention Gottes zu entsprechen und es gibt in der Theologie vielfach Überlegungen dazu, die unter dem Stichwort Theodizee verarbeitet werden. Im Blick auf Alkoholismus und Co-Abhängigkeit kann gefragt werden, warum das passieren kann, wenn wir doch freie Menschen sein sollen und Sucht das Gegenteil davon ist. Oft wird dann an die Willensfreiheit der Einzelnen appelliert, Schuld bei einzelnen Personen benannt und moralischer Druck aufgebaut das Trinkverhalten zu ändern. Ob das zum Erfolg führt, ist jedoch mehr als zweifelhaft.
Eine Linie, die sich mehr zu verfolgen lohnt, wird in den biblischen Büchern z.B. durch die Exodus-Erzählung verarbeitet und insbesondere in der Befreiungstheologie stark betont, nämlich die kollektive Befreiung aus struktureller Unterdrückung und Leid.
Die Leiderfahrung des Volkes Israel in Ägypten wird im Buch Exodus nicht geleugnet, sondern in den Kontext von Versklavung und Ausbeutung gesetzt. Der Pharao und seine Vasallen unterdrücken die Israeliten und beuten sie aus. Das verursacht großes Leid. An dieser Stelle interveniert Gott und stellt sich im brennenden Dornbusch (Ex 3,1-4,17) parteiisch an die Seite der versklavten Israeliten und ermutigt sie zum Widerstand, um ein besseres Leben zu suchen. Die Zielrichtung ist also klar, zurück zu einem freien Leben. Da dies aber gegen die versklavenden Umstände passieren muss, kann dieses Leben nur ein befreites Leben sein, das also errungen werden muss.
Die heilvolle Zuwendung Gottes zum Volk Israel und der Auftrag zur Befreiung aus ungerechten Strukturen kann auch im Blick auf Alkoholismus relevant werden. Denn oft ist es nicht persönliche Schuld, sondern gesellschaftliche unterdrückende Verhältnisse, die eine Sucht und damit Versklavung bewirken.
Einer wirksamen und am Leid Betroffener orientierten Alkoholpolitik steht bspw. eine mächtige Lobby entgegen, die Profite von Alkoholkonzernen absichern soll. Die gesellschaftliche Normalisierung von Alkohol und Druck zum Trinken sorgt immer auch dafür, dass Menschen auf der Strecke bleiben und z.T. an den Folgen ihrer Sucht sterben.
Im Sinne eines befreiten Lebens im Anschluss an den Exodus wie es das christliche Menschenbild vorschlägt, gilt es zu intervenieren und gemeinsam die bestehenden Verhältnisse zu überwinden. Die Parteinahme Gottes für die versklavten Menschen lässt auch im Blick auf süchtige Menschen und deren Angehörigen Partei für sie ergreifen. Dies ist auch ein Auftrag an die Kirche, die sich darauf beruft, dass „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger:innen Christi“ (Konzilsdokument Gaudium et spes 1) sind.
Auch auf einer individuellen Ebene kann den von Sucht Betroffenen durch den Glauben eine Hoffnung zukommen. Die bohrende Frage persönlicher Schuld kann in Seelsorge nicht moralisierend beantwortet werden, aber es kann daran erinnert werden, dass Gott sich immer auf die Seite der leidenden Menschen schlägt, auch persönlich. Die Zuwendung zu Randgestalten und Kranken ist immer das Programm Jesu gewesen und der Bibel-Vers „Das geknickte Rohr bricht er nicht ab und den glimmenden Docht löscht er nicht aus“ (Jes 42,3) kann trostspendend wirken. Oft ist nämlich eine drückende Frage süchtiger Menschen, ob man selbst überhaupt noch aus der Sucht gerettet werden kann. Die Erinnerung an die Liebe Gottes zu jedem Zeitpunkt des Lebens kann da stabilisieren. Seine Aufforderung so gut es eben geht ein gutes Leben zu suchen, kann motivierend und therapierend wirken. Eine Größe außerhalb meiner selbst zu haben, der ich vertraue und der ich meine Probleme und Hilflosigkeit geben kann, wirkt entlastend. Das 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker:innen ist ein gutes Beispiel, das in diese Richtung weist. Insofern kann auch auf persönlicher Ebene der Glaube helfen, seine Sucht anzusehen und ein anderes Leben zu suchen und entsprechende Schritte zu tun. Der Glaube weist in allem auf Befreiung hin und erinnert daran, dass wir zur Freiheit berufen sind (Gal 5,1), kollektiv wie persönlich.
Herzlichen Dank an Jan für diesen Gastbeitrag. Die genannten Bibelstellen unter Punkt 1 fand ich sehr spannend. Allein aus diesem Widersprüchlichen, das Jan ja auch bemerkt hat, leite ich ab, dass diese Bibelstellen (Jes 5,11: Wehe denen, die früh am Morgen dem Bier nachjagen und in der Dämmerung lange aushalten, wenn der Wein sie erhitzt.) dazu beitragen können, dass ein regelmäßiger Kirchengänger gar nicht erst seinen Alkoholkonsum hinterfragen möchte, weil er sich sonst ja dafür schämen könnte. Damit meine ich Menschen, die schon ihr Leben lang, Woche für Woche, solchen Bibelstellen im Gottesdienst lauschen. Denn bei den Katholiken herrscht auch eine sonntägliche Gottesdienstpflicht, wie mir vor kurzem eine befreundete Pastorin mitteilte. Deswegen habe ich auch schon oft beobachtet, dass sich Katholiken voreinander rechtfertigen, wenn sie mal sonntags nicht in die Kirche gehen.
Besonders stark an Jans Text fand ich den Aufruf zur Befreiung aus ungerechten Strukturen (Ex 3,1-4,17) und den damit einhergehenden Bezug zur Alkohollobby, die in Deutschland leider sehr mächtig ist. Ich hoffe, dass der Text euch an der ein oder anderen Stelle geholfen hat. Bei mir hat er viel Licht ins Dunkle gebracht.