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Sensibilität

Balanceakt

3 Äpfel aufeinander gestapelt

Photo credits: Elena Koycheva // unsplash

Wenn mich jemand danach fragt, was ich beruflich so mache, dann lautet meine Antwort meist: Ich arbeite als Verwaltungsassistentin an der Uni. Ich sage das, weil das die Arbeit ist, die die meisten Leute interessiert, wenn sie nach meiner beruflichen Tätigkeit fragen. Wenn es nach mir ginge, würde ich diese Frage aber am liebsten ganz anders beantworten, und zwar so: Hauptberuflich bin ich Familienmanagerin. Das mache ich gefühlt 24/7. Dies ist aber unbezahlte Arbeit. Deswegen arbeite ich nebenbei noch an der Uni. Denn für diese Tätigkeit werde ich bezahlt. 

Meine Tätigkeit als Familienmanagerin

Wenn es bei uns in der Ehe nicht rund läuft, dann bin ich diejenige, die sich die Beziehungs-Podcasts anhört und meinem Mann die Inhalte weitergibt. Ich bin die, die zur Elternberatung läuft, wenn unsere Kinder gerade eine schwierige Phase durchlaufen. Ich tue das, weil ich aus irgendwelchen Gründen immer denke, dass ich diejenige bin, die alles zusammenhalten muss. Meine Erziehung und meine Prägung mögen da mit eine Rolle spielen.

Ich bin die, die den Kindergeburtstag ausrichtet und an die rechtzeitige Verteilung der Einladungskarten denkt. Außerdem führe ich die Listen, auf denen steht, was man den Kindern zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenken kann und deswegen auch ständig danach gefragt werde. Ich backe den Geburtstagskuchen. Ich denke an die „Danke, dass du da warst“-Tüten, die am Ende eines Kindergeburtstags verteilt werden. Ich bin die, die sich um die Gummibärchen für den Kindergarten kümmert, damit der Geburtstag auch dort gebührend gefeiert werden kann. Außerdem kümmere ich mich um die Geburtstagsgeschenke der Kinder, zu deren Feiern unsere Kinder eingeladen werden. Die Koordination der Spielverabredungen meiner Kinder übernehme ich.

Ich fahre meinen Jungen zum Schwimmunterricht und begleite meine Tochter zur musikalischen Früherziehung. Mein Mann bringt die Kinder zum Fußball Training. Die Taschen, die sie zur Ausübung dieser Hobbys brauchen, packe ich wöchentlich. Außerdem denke ich an die Wechselklamotten für den Kindergarten. Ich packe unsere Koffer für den Urlaub. Im Nachgang packe ich sie wieder aus. Die Sachen für meinen Mann packe ich nicht. Das macht er selbst. Ich bringe regelmäßig unseren Müll raus. Ich kümmere mich um die Arzttermine der Kinder und um deren Adventskalender. Außerdem erstelle ich unsere Einkommenssteuererklärung. Denn ich bin nicht so vergesslich wie mein Mann und deswegen dazu in der Lage an all das zu denken.

Ich putze die Küche und den Rest der Wohnung, außer das Bad. Das macht mein Mann. Ich kümmere mich um meine und die Wäsche unserer Kinder. Mein Mann macht seine Wäsche selber. Ich erledige die Wocheneinkäufe und koche. Ich bringe die Pfandflaschen weg. Seit kurzem ist mein Mann bei uns Drogeriebeauftragter. Das heißt, dass ich da jetzt nicht mehr regelmäßig hin muss. Ich mache den Hintern der Kinder sauber und hole sie vom Kindergarten ab. Ich denke daran die Papiertonne und die für Leichtverpackungen wöchentlich rauszustellen.

Ich besuche einmal pro Woche abends einen Spanischkurs, weil ich das für meine Arbeit und für mein privates Umfeld brauche. Zugleich weiß ich nicht, wann ich die Spanischhausaufgaben erledigen soll. Zudem bin ich Läuferin. Ich laufe einmal im Jahr einen Halbmarathon. Ich bin Bloggerin und auf eine Art und Weise bestimmt auch Musikerin.

Ich bin abends oft so erschöpft, dass ich meinen Kindern nicht mehr mein bestes Gesicht zeige. Ich fühle mich von der Terminlast und all den To-Do’s erdrückt. Ein fauler Tag in der Woche zu Hause würde mir mal gut tun. Ein Tag in der Woche, an dem ich nicht raus müsste. Aber so einen Tag gibt es für mich nicht. Ich kann nachts nicht schlafen und stehe dann auf, um solche Texte zu schreiben. Psycholog*innen sagen zu mir: „Sie haben da ein paar dicke Bretter im Alltag zu bohren.“

Wir leben hier in einer Stadt, in der wir keine Familie ansässig haben. Wenn ich mal krank werde oder ausfalle, müssen Oma und Opa von weit her anreisen, um meinem Mann in unserem Familiengewusel zu helfen. Wenn ich krank werde, bricht alles zusammen. So fühlt es sich zumindest an. Wir sind wegen dem Job meines Mannes hergezogen. Ob ich als schüchterne und introvertierte Persönlichkeit in dieser Stadt schon Freunde gefunden habe, das weiß ich nicht. Mir fällt das jedenfalls nicht so leicht. Das heißt ich kann die ganzen Alltags-To-Do‘s nicht auf mehreren Schultern verteilen. Mein Mann und ich sind alleine. Ein Schicksal, das viele andere Familien heutzutage teilen.

Neulich gab es eine Situation in unserem Innenhof, bei der mich dabei ertappt habe, wie sehr ich mich darüber ärgere, dass sich ein fremdes Fahrrad auf meinen Fahrradabstellplatz gestellt hat. Wir leben nun schon seit fünf Jahren in dieser Wohnung und ich stelle mein Rad und unseren Fahrradanhänger immer an der gleichen Stelle ab. Dennoch habe ich auf diesen Fahrradabstellplatz keinen Anspruch, weil ich ihn nicht gepachtet habe. Mit anderen Worten: Da darf sich jeder oder jede aus dem Haus hinstellen, der oder die es gerne möchte. Der Grund, warum ich bei dem Anblick dieses fremden Fahrrads so böse wurde, ist der, dass ich mal eine Situation in meinem Alltag haben möchte, die ich selbst beeinflussen kann. Wenigstens beim Fahrradabstellplatz soll es mal nach meiner Nase gehen. Ich brauche mehr Gelegenheiten, wo ich mal nicht flexibel reagieren und mich anpassen muss. Einmal möchte ich mal über etwas selbst bestimmen. In solchen Situationen bemerke ich meine Dünnhäutigkeit. Meine Haut ist so dünn, weil ich nicht mehr kann. Die Tage fühlen sich wie Eiertänze an. Ich hoffe ständig, dass mir nichts entgleitet, dass ich nichts vergesse. Seitdem ich eigene Kinder habe, empfinde ich den Muttertag sowie auch meinen eigenen Geburtstag als vergebliche Liebesmühe, weil das ganz übliche Tage sind, an denen meine Kinder mich brauchen und ich es deswegen einfach nicht schaffe diese Tage für mich und meine eigenen Bedürfnisse zu nutzen. Das liegt auch daran, dass mein Mann Gymnasiallehrer ist und zu gewissen Stoßzeiten im Schuljahr, wie etwa im Mai, wenn Muttertag ist, wegen der Abiturkorrekturen, mir die Kinder nicht abnehmen kann. Und wenn ich mir für meinen Geburtstag nicht selbst einen Kuchen organisiere, dann bekomme ich auch keinen.

Beziehungskrisen

Um uns herum kracht es gerade an allen Ecken und Enden. Sämtliche Paare mit kleinen Kindern gehen auseinander, weil sie es nicht mehr schaffen den Alltag in ihren Familiensystemen zu stemmen. Häufig wollen beide Elternteile in Vollzeit arbeiten, wollen Karriere machen, keine Nachteile bei der Rente später einbüßen und ihren hohen Lebenshaltungskosten gerecht werden. Dass das mit der Familienzeit und das Wuppen des Alltags nach einer Trennung aber bestimmt nicht leichter wird, daran denken die Wenigsten. Oft denke ich, dass Vollzeit arbeitende Mütter bei weitem nicht so gestresst sind, wie in Teilzeit arbeitende Mütter, wenn sie zu Hause jemanden haben, der oder die sich um den ganzen Rest kümmert. Denn meine Arbeit im Büro empfinde ich im Vergleich zu dem, was zu Hause los ist, als Erholung.

Ich bereue nichts.

Nichtsdestotrotz gehöre ich nicht zu den Müttern, die es bereuen Mutter geworden zu sein. Ich bin jemand, die eigentlich gar nichts mit dem Kopf entscheidet, sondern immer nur intuitiv. Dass Mutter und Ehefrau sein irgendwie zu mir gehören, das sagte mir damals mein Bauch. Meine Familie ist für mich, wie das alte Albatros-Zelt, in dem meine Herkunftsfamilie und ich während meiner Kindheit die Sommerurlaube verbracht haben. Dabei bin ich die Zeltplane und mein Mann und die Kinder sind die Heringe. Wenn sie nicht wären, würde ich wegfliegen. Durch sie bin ich fest mit dem Boden verbunden. Sie erden mich. Deswegen liebe ich es Mutter zu sein. Kinder sind etwas herausragend Tolles. Was ich aber vorher nicht wusste, ist, wie schwierig das alles werden würde. Ich habe damals einfach nicht daran gedacht, wie herausfordernd es mal für uns werden würde ein Paar zu bleiben. Denn wir finden einfach nicht mehr die Zeit unsere Beziehung zu pflegen. Ein gut durchdachtes Zeitmanagement macht offensichtlich das A und O im hektischen Familienalltag aus.

Meine Utopie

Für meine kleine Tochter habe ich mir eine Utopie überlegt: Ich wünsche mir, dass sie eines Tages in einer Welt Mutter sein wird, sofern sie das möchte, in der ihr hoher Zeit Invest für die Kinder und ihre Arbeit zu Hause mindestens genauso gut vergütet wird, wie die Arbeit, der sie aufgrund der hohen Arbeitsbelastung nur in Teilzeit nachgehen kann. Ich möchte mich dafür stark machen, dass das alles mal gesehen, anerkannt und wertgeschätzt wird, was wir als Mütter so leisten: Pausenbrote schmieren, Keller, Dachböden ausmisten und aufräumen, die Streitereien der Kinder schlichten, Weihnachtsplätzchen backen, den Kindern neue Schuhe und Kleidung kaufen, Reifen flicken sowie die Tätigkeiten der endlos langen Liste, die ich oben erwähnt habe. Leider hat der Tag nur 24 Stunden. Ich wünsche mir, dass meine Tochter und auch mein Sohn, falls er sich dazu entscheidet zu Hause zu bleiben, für diese stressige Arbeit daheim genau die gleichen Rentenpunkte bekommt, wie jemand, der in Vollzeit für ein Unternehmen oder bei einer sonstigen Institution angestellt ist. Ich erhoffe mir, dass Väter irgendwann nicht mehr von ihren Chefs schräg angeschaut werden, wenn sie für ein oder zwei Jahre in Elternzeit gehen. Damit es offensichtlicher und deutlicher wird, dass auch Väter Sorge-Arbeit zu leisten haben. Denn wenn sich die Situation um die Vergütung der Care-Arbeit nicht bessert, wird es immer weniger Menschen geben, die bereit sind, Kinder zu bekommen. Wenn das passiert, wird es allen noch sehr viel schlechter gehen als jetzt. Ich träume davon, dass meine Tochter irgendwann mal sagen kann, dass sie im Hauptberuf Familienmanagerin ist und dass das mal eine Tätigkeit sein wird, von der sie langfristig eigentlich gut leben könnte. Das wünsche ich mir so sehr.