Christine Koschmieder ist Autorin, Übersetzerin und Literaturagentin. Ihr drittes Buch „Dry“ handelt von Liebe und Familie sowie von Verlust und Trauer – also eigentlich allem, was das Leben so manchmal für uns bereit hält.
Den Einstieg des Buches mit der Erstellung einer eigenen Lebenslinie in Bezug auf Alkohol fand ich richtig gut. Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe, die die Autorin in der Suchtklinik machen musste. Es hat mich auch dazu veranlasst diese Übung einmal selbst durchzuführen und somit war ich sofort im Thema. Auf den Folgeseiten habe ich mich dann inhaltlich etwas verloren, weil zuviele Infos auf zu wenig Seiten auf mich einprasselten. Ab ungefähr Seite 60 war ich dann aber im Schreibstil und somit im Leseflow drin, sodass ich das Buch innerhalb weniger Tagen durchgelesen hatte, was wirklich ein gutes Zeichen ist.
Mir hat gefallen, dass es ein persönlicher Roman geworden ist. Ich liebe sowas. Der Leser oder die Leserin erhält tiefe Einblicke in den Trauerprozess und in die Überforderungen, die einem als Mutter so manchmal entgegenschlagen. All das beschreibt sie ehrlich und unmaskiert.
Wie sie den Sterbeprozess ihres Mannes erlebt hat, hat mich besonders berührt. Das liegt daran, dass ich einen Freund habe, der seiner Mutter über 20 Jahre hinweg beim Sterben „zugeschaut“ hat bis sie dann letztlich auch ihrem Krebsleiden unterlegen ist. Er hatte mir immer mal wieder geschildert, wie dieser Sterbeprozess sein Leben beeinflusst hat, aber eine richtige Vorstellung davon, was da genau ablief, was alles zu machen war, hatte ich nicht. Dabei hat mir dieses Buch sehr geholfen und mir die Erfahrungen meines Freundes näher gebracht. Was ich als sehr romantisch empfand: Wenn es um ihren verstorbenen Mann geht, schreibt sie in der zweiten Person Singular, also im „Du“. Das impliziert quasi, dass sie das Buch für ihn geschrieben hat und uns Leser:innen daran teilhaben lässt. Es ist also wie ein langer Brief sowie auch eine Liebeserklärung an ihren verstorbenen Mann.
Bei „Dry“ handelt es sich um kein typisches QuitLit-Buch. Dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Das mit ihrer Alkoholsucht habe ich erst ab Seite 208 so richtig wahrgenommen und das Buch hat nur etwa 250 Seiten; die drei ersten Seiten mal ausgeschlossen. Dementsprechend wird das Thema erst im letzten Fünftel des Buches behandelt. Dafür dann aber sehr gut und mit spannenden Fragestellungen, wie ich finde. Davor lief der Alkohol mehr oder weniger die ganze Zeit nur mit. Also unterschwellig war er ständig in ihrem Leben präsent, aber nie der Hauptakteur. Für mich ist es aber nicht wichtig, wieviele Seiten über Alkoholabhängigkeit in diesem Buch stehen. Ich mag es auch einfach nur gute Romane zu lesen.
Es gab Textstellen, bei denen ich nicht so genau wusste, was die Autorin mir damit sagen wollte. Diese kamen aber nur vereinzelt vor. Teilweise waren mir zu viele englische Floskeln im Text. Ich kann verstehen, warum Koschmieder beim Schreiben manchmal ins Englische verfällt. Ich denke, dass das daran liegt, weil sich vieles im Englischen knapper auf den Punkt bringen lässt, was sich im Deutschen nicht mal annährend so ausdrücken lässt. Bei manchen Übersetzungsarbeiten, die ich in anderen Kontexten schon einmal erstellt habe, ist mir das auch aufgefallen. Aber dennoch bin ich ein Fan der deutschen Sprache.
Wie das Buch von seiner Struktur her aufgebaut war, war spannend. Es wird nämlich nicht chronologisch erzählt, sondern in Rückblenden, die situativ gewählt sind. Das Inhaltsverzeichnis habe ich erst am Ende des Buches entdeckt. So konnte ich den Text einfach mal lesen ohne vorher genau zu wissen, was mich im nächsten Abschnitt erwartet. Somit hatte ich insgesamt ein anderes Leseerlebnis als sonst.
Inhaltlich hat mich noch angesprochen, dass Koschmieder die Beziehung zu ihren Eltern ziemlich klar veranschaulicht. Somit stellt sie auch ein Sprachrohr für Kinder aus suchtbelasteten Familien dar, was ich der Autorin sehr hoch anrechne. Denn wie sich das für Kinder anfühlt, wenn Eltern regelmäßig trinken und welch toxische Beziehungsmuster damit einher gehen und wie sie langfristig darunter leiden, findet in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Inhaltlich gibt mir das Buch also wirklich viel.
Fazit: Das Buch vermittelt einen ganzheitlichen Blick auf das Leben der Autorin und die Menschen, die sie bis hier hin begleitet haben. Es ist ein sehr dynamisches Leben, das sie führt, mit viel Bewegung darin. Bei ihr gibt es sozusagen keinen Stillstand. In meinen Augen ist es auch eine ganz besondere Reise, die sie da antreten musste. Besonders auf den letzten Seiten wird deutlich, dass es aber auch ein Leben voller Chancen ist. Sie vermittelt einen positiven Ausblick. Denn die Protagonistin verfügt durchaus über sehr viele Ressourcen, um den Herausforderungen ihres Lebens gerecht zu werden. Dementsprechend gibt dieses Buch auch Hoffnung.
Aus all den genannten Gründen vergebe ich vier von fünf Sternen.
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